Anderswelten
Astrid Kury
Michaela Bruckmüller widmet sich in ihren fotografischen Rauminstallationen den Relationen von Oberfläche und Raum sowie von Licht und Dunkelheit. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Oberflächen der belichteten Papiere dient ihr zur Analyse der Raumwahrnehmung. Und die Lichtzeichnung ist ihr ein Zugang, um gerade das Fehlen von Licht zu untersuchen.
Dunkelheit ist in den Arbeiten von Michaela Bruckmüller eine unwägbare existentielle Tiefe, die sich als Raumillusion einstellt. Gläsern spiegelnde oder samtig unergründliche Oberflächen sowie scharf gezeichnete farbintensive Objekte vor lichtlosen Hintergründen evozieren eine irritierend flache wie unendliche Räumlichkeit. Sie bildet sich durch den harten Gegensatz der haptischen Präsenz der Bildmotive zur ungreifbaren Schwärze, in die sie gestellt sind.
Ein thematischer Fokus ihrer Arbeiten sind Pflanzen, gerade auch für die Analyse der Dunkelheit, denn sie wurzeln im Dunkeln und bilden ihre Körper aus Licht, wenden sich ins Licht. Lange Zeit wurden Pflanzen unterschätzt, heute werden ihre Formen der Kommunikation, aber auch Intelligenz und sogar Emotionalität wissenschaftlich untersucht. Als überwiegende Lebensform auf der Erde machen sie durch ihren Metabolismus den Säugetieren das Leben erst möglich. Unscheinbare Gräser wie der Weizen, sagt man, haben sich den Menschen untertan gemacht, um den Weg zur Weltherrschaft anzutreten. Junge Sonnenblumen bewegen sich spielerisch miteinander, um Sozialität zu üben. Dass Vegetarismus einen Weg aus schuldhaftem Leben weist, wird wahrscheinlich noch revidiert werden müssen.
Die glänzenden Papiere der Serie „...sollst sanft in meinen Armen schlafen“ von 2015 (100 x 80 cm / flat bed scan / C-Print) erinnern an die Wasseroberfläche eines beschatteten Waldteichs – eine Anderswelt des Lebendigen, angesichts derer sich der Schmerz der Todessehnsucht zelebrieren lässt, wie etwa auch in John Everett Millais’ Ophelia von 1852, eine Ikone der präraffaelitischen Malerei. Der Körper einer schönen jungen Frau treibt hier in der Untiefe eines pflanzenreichen Gewässers, ihre leblose Hand gibt die gepflückten Blumen wieder frei, die sie zum Tod gebracht haben.
Auf ihre Art inszeniert auch Michaela Bruckmüller einen solchen auf die Spitze ästhetisierten Umschlagpunkt von Werden zum Vergehen. Ihre im Schwarzen schwebenden Blütenpflanzen sind giftig und tragen so die tragische Verlockung ins Dunkel einzutauchen bereits in sich. Die Serie ist eine Hommage auf Helmut Eisendles Buch „Tod und Flora“, in dem die Anwendung von Giftpflanzen ironisch oder phantastisch als Lösungsweg skizziert ist. Eine Handvoll von Herbstzeitlosen kann eine Familie ins Grab bringen. Dennoch ist angesichts schöner Pflanzenbilder mit Sterblichkeit einfacher umzugehen. Denn auch das Verwelken und sein Formenspiel hat Schönheit, mehr sogar als die Blüte des Lebens.
Danse macabre von 2016/17 (21 x 29,7 cm / flat-bed scan / Fine Art Print) ist eine Serie als Rauminstallation mit dem Motiv verwelkender Tulpen. Das samtige Mattschwarz der Oberfläche dieser Papiere ist ein technisches Rätsel für die Betrachtenden, kaum kann man sich beherrschen, nicht auch den Tastsinn zu seiner Ergründung hinzu zu ziehen. Mangels Spiegelung erzielt Michaela Bruckmüller noch mehr an illusionärer Raumtiefe. Man wird stark erinnert an das Chiaroscuro des Barock und an die Stillebenmalerei des 17. Jahrhunderts. Auch hier strahlt farbenprächtiges Leben vor dunkler Unergründlichkeit hin zum Betrachter, im angekündigten Umschlagpunkt zur Verwesung – ein memento mori, das durch kunstfertig realistische Gegenwärtigkeit besticht. Mit einer berückenden Präzision und Schärfe der Abbildung greift Michaela Bruckmüller ebendieses Element auf und erwirkt so eine Art Überrealität, die unmittelbar und dauerhaft fasziniert. Etwa die wächsern-schillernde Farbigkeit der welkenden Blütenblätter, wie sie uns vertraut ist und hier, im Bild, viel greifbarer scheint als in der Wirklichkeit. Diese Unmittelbarkeit führt dann doch auch ziemlich unmittelbar zurück in das Thema des Sterbens, wie es uns nun einmal alle betrifft. Und da passt ein Diktum des Künstlers Lois Weinberger, das Barbara Frischmuth in einem Essay über die wunderbare Anderswelt der Pflanzen bewahrte: „Solange uns die Natur sterben lässt, kann sie nicht nur als metaphorisch angesehen werden.“
Astrid Kury / Mai 2018
Quelle: Barbara Frischmuth, Das Leben der Anderen (DER STANDARD, 27.03.2015) / https://derstandard.at/2000013215422/Barbara-Frischmuth-Das-Leben-der-Anderen (abgerufen am 16.05.2018)